100 Tage nach Jina Mahsa Aminis Tod: Teheran in der Krise

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100 Tage nach dem Tod von Jina Mahsa Amini: Teheran in der Krise

Ein Demonstrant hält in Berlin ein Bild der ermordeten Kurdin Jina Mahse Amini hoch. Ein Demonstrant hält in Berlin ein Bild der ermordeten Kurdin Jina Mahse Amini hoch.

Ein Demonstrant hält in Berlin ein Bild der ermordeten Kurdin Jina Mahse Amini hoch.

Quelle: Annette Riedl/dpa

Der Tod von Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam schockierte Menschen auf der ganzen Welt und stürzte die Islamische Republik in die größte politische Krise seit Jahrzehnten. Was haben die Proteste bisher bewirkt?

EINAls vor 100 Tagen eine junge iranische Kurdin, Jina Mahsa Amini, im Krankenhaus im Sterben lag, hatten viele Menschen im Iran bereits Zweifel. Ein Foto, das einen 22-jährigen Mann an einem Beatmungsgerät mit geschlossenen Augen auf einer Intensivstation in der Hauptstadt Teheran zeigt, ist viral geworden.

Viele Menschen gehen bereits davon aus, dass Amini nach seiner Festnahme durch die Sittenwächter Gewalt erlitten haben muss. Die berüchtigte Sittenpolizei hatte die Studentin erst drei Tage zuvor wegen eines schlecht sitzenden Kopftuchs abgeführt. Sie stirbt, und am Tag nach ihrem Tod brechen bei den ersten Demonstrationen Wut und Trauer aus. Ausgehend von Aminis Heimatprovinz Kurdistan breiten sich die Proteste wie ein Lauffeuer im ganzen Land aus.

Seit mehr als drei Monaten demonstrieren Menschen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten und Generationen gegen die repressive Politik und Systeme der Islamischen Republik. Der Sicherheitsapparat reagierte äußerst hart, mehr als 500 Demonstranten wurden nach Angaben von Menschenrechtlern bereits getötet.

Unterstützer der Proteste wehren sich teilweise heftig. Auch wenn die Straßenproteste nach Regierungshandeln zuletzt etwas abgeflaut sind, sprechen viele Experten inzwischen von einer “revolutionären Bewegung”.

Fatemeh Shams, Assistenzprofessorin an der University of Pennsylvania in den USA, bezeichnet die Proteste als „die größte Herausforderung für den Kern des derzeitigen Regimes und seine Ideologie in den letzten 43 Jahren“. Sie sieht viel Unmut hinter den Demonstrationen. „Ich glaube nicht, dass ihnen bewusst war, wie sehr sie den Kontakt zur realen Gesellschaft verloren haben, zu echten Menschen, zur neuen Generation. Und sich dem zu stellen, war ein großer Schock für sie.”

Straßenproteste werden von kreativen Protesten und zivilem Ungehorsam begleitet – Demonstranten entfernen zum Beispiel Turbane von Mullahs, füllen öffentliche Brunnen mit Kunstblut oder beschmieren Plakate einflussreicher Staatsmänner mit roter Farbe.

Die Führung der Islamischen Republik geht weiterhin hart gegen die Demonstranten vor. In kurdischen Gebieten beispielsweise setzten die Revolutionsgarden und die berüchtigten Basij-Milizen scharfe Munition in gepanzerten Fahrzeugen ein, um Aufstände zu unterdrücken. Eine Reihe prominenter Sportler, Künstler und Schauspieler, die sich mit den Protesten solidarisieren, wurden vorgeladen, verhört und festgenommen. Teheran spricht von einer “ausländischen Verschwörung” und macht seine Erzfeinde USA und Israel für die Krise verantwortlich.

Politiker aus dem Reformlager wie Ex-Präsident Mohammed Chatami versuchen, den repressiven Kurs der Regierung zu kritisieren. Aber viele junge Demonstranten tun sogar die gemäßigteren Führer als “Systemmenschen” ab. Von der politischen Spitze selbst sind keine Worte der Versöhnung zu hören.

„Unter westlichen Politikern herrscht ein Missverständnis, dass Reformparteien für Frauenrechte gekämpft haben. Das ist falsch“, sagt Shams. Sie weist darauf hin, dass unter Khatami ein Gesetz zur Einrichtung der berüchtigten Sittenpolizei verabschiedet wurde.

Von Beginn an wurden die Proteste von einer breiten Welle internationaler Solidarität begleitet. Vor allem die große iranische Community im Ausland unterstützt die Kritik am Kurs der Regierung und fordert einen Wechsel des politischen Systems im Iran.

Viele westliche Regierungen im Ausland haben die Verschlechterung der bilateralen Beziehungen mit scharfer Kritik an Teheran hingenommen. Die Verhandlungen zur Wiederbelebung des Atomabkommens, das den Iran am Bau einer Atombombe hindern würde, bleiben auf Eis gelegt.

Die Hinrichtung von zwei Demonstranten im Dezember löste im Iran und international weit verbreitete Kritik und Bestürzung aus. Menschenrechtler sehen die Hinrichtungen als Versuch, Proteste durch Abschreckung zu unterdrücken. Allerdings stoßen die schnellen Urteile auch auf weit verbreiteten Widerstand in Teilen der religiösen und traditionellen Kreise des Iran.

“Selbst die Mehrheit der traditionellen, religiösen Bevölkerung des Landes ist entsetzt über die brutale Gewalt im Namen des Islam”, erklärt Experte Shams. Auch islamische Prediger im Iran verurteilten die Hinrichtungen.

“Heute haben wir es mit einem Regime zu tun, das bei vielen verschiedenen Bevölkerungsschichten, bei den neuen Generationen im Land, bei Frauen und der Mehrheit der männlichen Bürger sichtlich unbeliebt ist”, sagt Shams. Allerdings sieht sie die Hoffnungen der Protestbewegung auf einen schnellen Systemwechsel kritisch. „Wenn sie die Menschen dieses Mal komplett abschalten und die Welt damit durchkommen lassen, würde das die Zivilgesellschaft bis ins Mark erschüttern, weil die Menschen im Grunde nichts zu verlieren haben.“

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