Brokstedt: Tatverdächtiger wurde noch kurz vor Messerattacke psychiatrisch beurteilt

WWenige Tage vor der tödlichen Messerattacke in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg wurde der mutmaßliche Täter psychiatrisch begutachtet – ohne besondere Auffälligkeiten. Wie die Hamburger Justiz am Donnerstag mitteilte, war er bereits während seiner fast einjährigen Haft wegen des Gewaltverbrechens in der Justizvollzugsanstalt Hamburg-Billwerder psychiatrisch betreut worden. Grund für die Betreuung waren die Übergriffe, an denen er während der Haft zweimal beteiligt war.

„Unmittelbar vor seiner Entlassung hat der Psychiater nicht festgestellt, dass er weder anderen noch sich selbst Schaden zugefügt hat“, sagte die Behördensprecherin. Es lagen daher keine belastbaren Anhaltspunkte vor, einen Prozesskostenhilfeantrag zu stellen oder den Sozialpsychiatrischen Dienst einzuschalten. „Anders als bei der Aufhebung eines Haftbefehls gibt es bei dessen Aufhebung keine Auflagen- oder Weisungsmöglichkeit.“

Das Landgericht Hamburg hat am Donnerstag vergangener Woche den Haftbefehl gegen den 33-jährigen staatenlosen Palästinenser aufgehoben, weil die gegen ihn verhängte, aber noch nicht rechtskräftige Freiheitsstrafe fast vollständig in Untersuchungshaft verbüßt ​​wurde.

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Brokstedts Messerattacke

Am Mittwoch soll ein Mann in einem Regionalzug auf andere Fahrgäste eingestochen haben. Ein 17-Jähriger und ein 19-Jähriger starben, fünf Insassen wurden zum Teil schwer verletzt. Die anderen Passagiere überwältigten den Angreifer schließlich. Der Verdächtige wurde am Donnerstag wegen zweifachen heimtückischen Mordes und vierfachen versuchten Totschlags in Untersuchungshaft genommen.

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Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) gedachten derweil der Opfer des Anschlags am Bahnhof Brokstedt. Gemeinsam mit Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) und Brokstedts Oberbürgermeister Clemens Preine legten sie im Schutzhaus auf dem Bahnsteig weiße Rosen nieder. Anschließend wollten sie mit Polizisten, Feuerwehrleuten und Sanitätern sprechen, die an der Aktion vom Mittwoch beteiligt waren. Ihr sei es wichtig, „sich bei den Menschen bedanken zu können, die hier waren und so schnell geholfen haben“, sagte Faeser.

A. hatte bereits vor dem tödlichen Angriff auf den Regionalexpress andere Menschen mit einem Messer bedroht. Auf WELT-Anfrage bestätigte eine Sprecherin der Stadtverwaltung Kiel, dass er 2021 während seines Aufenthalts in einer Wohngemeinschaft für obdachlose Flüchtlinge in Kiel mit einem Messer hantiert habe. „Auf dem Flur bedrohte er andere Bewohner mit einem Küchenmesser“, sagte die Sprecherin. Der Mann war zuvor wegen anderer Verstöße in der Unterkunft beobachtet worden. Nach Drohungen mit einem Küchenmesser erhielt er Hausverbot. In Notunterkünften kommt es laut der Sprecherin häufiger zu ähnlichen Vorfällen. Viele Bewohner sind traumatisiert.

Im November 2021 sei das Verfahren zum Entzug des subsidiären Schutzes eingeleitet worden, hieß es am Donnerstag. Wie das ausging, war zunächst unklar. Nach Angaben des Kieler Integrationsministeriums musste der Mann das Land nicht verlassen. Er durfte in Deutschland bleiben. Auch der mutmaßliche Täter gelte „nicht als Intensivtäter“, sagte Itzehoes Oberstaatsanwalt Carsten Ohlrogge. Der Mann hatte drei Vorstrafen. Ohlrogge sagte, er habe in den Berichten Begriffe wie „Serientäter“ oder „Intensivtäter“ gelesen, diese Bezeichnung gelte aber nicht für Ibrahim A.

Innenminister Faeser fragte, wie die Behörden mit dem Mann umgingen. Es müsse geklärt werden, “wie es möglich ist, dass so ein Täter noch hier im Land ist”, sagte der SPD-Politiker. „Wie konnte es passieren, dass er mit so vielen Vorstrafen nicht mehr in der Justizvollzugsanstalt ist. Wie konnte es passieren, dass er so früh aus der Haft entlassen wurde.”

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Faeser wollte nicht, dass ihre Äußerungen als Kritik an der Entscheidung des Hamburger Gerichts verstanden werden. “Es geht nicht um Schuldzuweisungen.” Es gehe darum, „dass wir feststellen müssen, wo die Fehler passiert sind.“ Deutschland habe nicht nur wegen seiner eigenen „dunklen Geschichte“ eine „humanitäre Verpflichtung, auch Flüchtlinge aufzunehmen“, sagte sie. “Wir müssen untersuchen, warum es immer noch Menschen gibt, die so gewalttätig sind, hier in Deutschland.”

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Ergebnisse der Ermittlungen gegen den mutmaßlichen Täter liegen nicht vor

Woher der Brokstedt-Attentäter nach Deutschland kam, wissen die Behörden laut Sütterlin-Waack noch nicht. Der Minister forderte, dass „für Annahmen und Spekulationen, die derzeit im Umlauf sind, kein Platz ist“. Einige Fragen dazu wurden bereits beantwortet, andere Details werden noch festgelegt. Wir werden weiterhin über alles, was gesichert ist, berichten. Allerdings reiche der Befund noch nicht aus, um „politische Schlüsse zu ziehen oder Forderungen zu stellen.“ Auch zu den Ermittlungen gegen den mutmaßlichen Täter gebe es keine Ergebnisse, zum Motiv könne daher nichts gesagt werden. Bisher wurden 24 Zeugen befragt, in vier Waggons wurden Blutspuren gefunden. Der Kriminalpolizei gelang es, die Stichwaffe des Täters sicherzustellen.

Feuerwehrleute reinigen den Bahnsteig in Brokstedt

Feuerwehrleute reinigen den Bahnsteig in Brokstedt

Quelle: AFP/GREGOR FISCHER

Laut Sütterlin-Waack war der 33-Jährige kurz vor der Tat beim Ausländeramt in Kiel. Er beantragte eine Aufenthaltskarte und wurde von dort zum Mietermeldeamt geschickt. Auf die Frage nach dem Tatmotiv sagte der Minister: “Wir arbeiten hart daran, alle Fakten zusammenzutragen.” Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund gibt es laut Ermittlern jedoch nicht. Das sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Itzehoe, Peter Müller-Rakow, der Deutschen Presse-Agentur.

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Nach Angaben einer Polizeisprecherin erlitten die beiden jungen Opfer schwere Stichverletzungen, die zu ihrem Tod führten. Der 17-Jährige und der 19-Jährige kannten sich und gingen in Neumünster zur Schule, sagte Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU). Prien kündigte an, am Freitag in Neumünster mit der Schulleitung, Lehrern und Mitschülern zu sprechen.

„Diese schreckliche und sinnlose Tat gegen so junge Menschen macht mich fassungslos und traurig“, sagte der Minister. „Meine Gedanken sind bei den Opfern, den Verletzten und besonders bei den Familien, Freunden und Klassenkameraden der beiden ermordeten Jugendlichen. Sie haben mein aufrichtiges Beileid.“ Freunde und Mitschüler brauchen jetzt besondere Unterstützung, um das Geschehene zu verarbeiten.

Im Regionalzug von Kiel nach Hamburg gab es laut Polizei keine Videoüberwachung. Die Polizei hat eine Telefonnummer für Zeugen eingerichtet und bittet Fahrgäste im Zug, die noch nicht mit der Polizei gesprochen haben, sich unter +49 4821 602 2002 zu melden. Unter der Nummer sei das Bürgertelefon ab sofort erreichbar, teilte die Polizei am Donnerstag mit.

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