Cem Özdemir: Was Sie essen, entscheiden Sie ganz allein – aber …

„Was gibt es bei Ihnen zu Weihnachten, Herr Özdemire?“ Diese Frage kommt heutzutage in fast keinem Vorstellungsgespräch mehr aus. Zugegeben, was ein Bundesminister am 24. Dezember isst, ist nicht gerade weltbewegend.

Aber das ist nicht wirklich der Sinn dieser Frage. Es geht um etwas anderes. Essen dient natürlich in erster Linie unserem Überleben. Außerdem verbindet uns Essen, und Essen schafft Identität. Essen ist Genuss und Tradition.

Aber Essen ist viel mehr. Denn nicht jeder Tisch ist gleich reich und gleich gut gedeckt. Neben Vorlieben und Gewohnheiten beeinflussen auch Einkommen und Bildung, was wir essen und welche Lebensmittel wir uns tatsächlich leisten können. Unsere Ernährung ist nicht nur eine tägliche Energiequelle – sie spiegelt auch ungleiche Lebenschancen und Lebenserwartung wider.

Mehr über gesunde Ernährung

Als Kind türkischer Einwanderereltern war ich oft allein, weil meine Eltern im Schichtdienst arbeiteten. Sie waren nach der Schule nicht zu Hause. Die Schule war ein halber Tag und die Kinder mussten zu Hause zu Mittag essen. Denn die Politik zielte darauf ab, dass die Mutter als Hausfrau zu Hause Essen zubereitet und nachmittags auf die Hausaufgaben aufpasst.

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Wenn Sie kein warmes Essen fanden, hatten Sie Pech. Also musste ich die Mittagszeit, in der mein Magen knurrte, irgendwie überstehen. Jeden Tag zählten sie mein Geld, um mir nach der Schule etwas zu essen zu kaufen – Currywurst mit Pommes. Gefallen hat es mir natürlich auch.

Aber wie oft? Es war leicht zugänglich und erschwinglich. Vielleicht gäbe es mehr Abwechslung und damit etwas gesünderes, aber ich hörte nicht auf, darüber nachzudenken. Schlicht, einfach und günstig füllte ich mir den Magen. Für viele ist das heute noch so.

Deutsche Tafeln verzeichneten ein Wachstum von 50 Prozent

Noch nie zuvor hat Tafeln in Deutschland so vielen Menschen in Not geholfen wie jetzt. Insgesamt würden etwa zwei Millionen Menschen kommen. Gleichzeitig sind die Lebensmittelspenden zurückgegangen.

Wahrscheinlich hat es mir nicht geschadet, zumindest hoffe ich das. Aber im Nachhinein – auch mit wachsendem Bewusstsein, dass Essen nicht gleich Essen ist – hat mir diese Erfahrung bewusst gemacht, dass die Art und Weise, wie wir uns ernähren, auch ein gesellschaftliches Thema ist. Lord Ralf Dahrendorf hat es in einem Gespräch über Chancengleichheit einmal auf den Punkt gebracht: „Eine Bildungsrepublik kann am Mittag scheitern.“ Die Ernährung hilft bei der Entscheidung über faire Lebenschancen.

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Auch in einem reichen Land wie Deutschland gibt es Ernährungsarmut. In Haushalten mit niedrigem Einkommen gibt es weniger Abwechslung auf dem Tisch. Sparen Sie Obst und Gemüse, um Lebensmittel zu kaufen, die Sie schneller satt machen.

Krisen wie die Covid-19-Pandemie, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und damit verbundene Preissteigerungen verschärfen das Problem. Zwischen 2018 und 2022 ist die Zahl der Menschen, die regelmäßig Tablets nutzen, von rund 1,5 Millionen auf über zwei Millionen gewachsen.

Wir dürfen unsere Verantwortung für eine gesunde Ernährung nicht vernachlässigen

Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Menschen zu einer einheitlichen Ernährung gezwungen werden. Es darf keine Utopie bleiben, dass es für jeden in Deutschland möglich und einfach ist, sich gut und nachhaltig zu ernähren – unabhängig von Einkommen, Bildung oder Herkunft. Es hat auch etwas Dankbares, wenn fleißige Mitarbeiter in der Kantine immer mit gutem Essen rechnen können.

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Es versteht sich von selbst, dass Patienten in Krankenhäusern die bestmögliche Ernährung für ihre Genesung erhalten. Und denken wir an unsere Kinder, das Wertvollste, was wir haben: Sollte es nicht das Normalste der Welt sein, dass sie in Kindergärten und Schulen jeden Tag gutes, leckeres Essen auf dem Teller haben – gerade dort, unabhängig von ihrem sozialen Umfeld Hintergrund?

Klingt das alles ambitioniert? Ja das ist es. Aber es wäre verheerend, wenn wir unsere Verantwortung vernachlässigen würden, wenn es um Menschen mit Mangel- oder Unterernährung oder Menschen in armutsgefährdeten Haushalten geht. Oder vergessen wir unsere Verpflichtungen gegenüber Kindern, deren Ideen und Kreativität maßgeblich davon abhängen, wie unsere gemeinsame Zukunft auf diesem Planeten aussehen wird.

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Welt CR Ulf Poschardt 30.09.2016 Foto: Claudius Pflug / Berlin Autorenfoto

Wir tun uns als Gesellschaft einen großen Dienst, wenn alle Kinder gut essen können. Und gut essen heißt, sich gegen Currywurst entscheiden zu können, weil es gute, schmackhafte Alternativen gibt. Und weil gute Alternativen bekannt sind und genutzt werden. Nur dann ist es eigentlich für jeden die richtige Wahl.

Als Bundesregierung arbeiten wir daher mit vielen Stakeholdern an einer gemeinsamen Ernährungsstrategie. Den Grundstein dafür werden wir heute in der Bundesregierung beschließen. Vereinfacht gesagt geht es um die Frage, wie Jung und Alt durch bewusste Ernährung, aber auch Sport und Bewegung Fitness und Gesundheit erhalten können. Dies gilt sowohl für das Frühstück zu Hause als auch für das Mittagessen in der Kantine.

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Außerdem wollen wir uns genauer anschauen, wo unsere Verantwortung für eine gesunde Ernährung am wichtigsten ist. Unsere Kindergarten- und Schulkinder brauchen eine Vielfalt an gesundheitsfördernden Lebensmitteln. Sie sollen die Möglichkeit haben, von klein auf zu lernen, dass Gesundes, Leckeres und Nachhaltiges auf dem Teller gut zusammenpassen.

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Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne)

Wer diesen Text bis hierhin gelesen hat, mag denken: „Gibt es die noch alle – was ich esse, entscheide nur ich.“ Nicht jeder, der sich schlecht ernährt, will oder ist schuld daran. Wir arbeiten an besseren Möglichkeiten für alle. Das ist meine Motivation, nicht nur Bundesministerin für Ernährung, sondern auch Ministerin für gutes Essen zu sein.

Wir müssen es schaffen, Maß und Durchschnitt, Genuss und Freude am Essen zusammenzubringen. Nicht mit moralischem Zeigefinger – es gehört zum Leben dazu, manchmal zu weit zu gehen – sondern aus Respekt vor uns selbst und unseren Kindern. Für ein Leben, in dem man gesund alt werden kann – unabhängig von unserer sozialen Herkunft.

Cem Özdemir (Grüne) ist seit einem Jahr Bundeslandwirtschaftsminister. Bis 2018 war er zehn Jahre lang Co-Vorsitzender der Grünen. Der 56-jährige Schwabe ist der erste Bundesminister, dessen Eltern aus der Türkei ausgewandert sind.

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