
Russland bedroht den Westen, Deutschland und Polen müssen Geschlossenheit zeigen. Im Gegenteil, die Stimmung zwischen Berlin und Warschau ist alles andere als gut. Beschreiben Sie, warum das so ist David Gregosz und Daniel Lemmen (Konrad-Adenauer-Stiftung).
Einer der vielen Fehlkalkulationen des Kreml ist, dass er den Zusammenhalt des Westens unterschätzt hat. Oft wird darauf hingewiesen, dass die NATO, die vor Jahren als „hirntot“ bezeichnet wurde, sie wiedergefunden hat. Allerdings zeigen sich nun auch in Europa Risse – vor allem in Form der sich verschlechternden deutsch-polnischen Beziehungen, die sich im Kontext des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine nicht verbessert haben.
Eine Reihe von Problembereichen kann identifiziert werden. Während sich Europa und der Westen gegenüber Russland überraschend geschlossen zeigen, drängt das polnische Regierungslager auf Reparationen aus Deutschland und veröffentlicht am letzten Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs einen Bericht über die nationalen Opfer.
David Gregor führt sein Büro Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Polen mit Sitz in Warschau. Daniel Lemen ist Projektkoordinatorin. Die KAS ist eine Ideenschmiede, die der CDU ideal nahesteht und sich unter anderem für die europäische Verständigung einsetzt.
Darin fordert Warschau von Berlin 1,3 Billionen Euro für erlittenes Leid während und durch den Krieg. Vordergründig scheint dieser Schritt Teil der polnischen Außenpolitik zu sein. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass das Wiederaufleben der Reparationsdebatte vor allem innenpolitisch motiviert ist. In etwa zehn Monaten finden in Polen Parlamentswahlen statt, und nach Siegen in den Jahren 2015 und 2019 droht der regierenden PiS derzeit der Machtverlust.
Im anstehenden Wahlkampf setzt die nationalkonservative Regierungspartei deshalb auf antideutsche Rhetorik, um die eigene Kernwählerschaft zu mobilisieren. Die Folgen für das deutsch-polnische Verhältnis werden offenbar als zweitrangig behandelt. Gewinnen ist oberstes Gebot – und für Parteichef Jarosław Kaczyński geht es um alles oder nichts.
Fehler auf beiden Seiten
Es wäre einfach, aber falsch, das fehlende Vertrauen beider Nachbarn einfach der polnischen Regierung anzulasten. Insbesondere im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine gibt es auf beiden Seiten der Oder deutliche Anzeichen von Unzufriedenheit, politischen Fehlern und mangelnder Kommunikation. Ein aktuelles Beispiel ist das Angebot von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, eine Patriot-Flugabwehrbatterie in Polen zu stationieren (was die Bundeswehr mangels eigener Fähigkeiten nicht begeistert).
Sein polnischer Amtskollege Mariusz Błaszczak begrüßte den Vorschlag zunächst, doch PiS-Parteichef Kaczyński lehnte das Angebot entschieden ab. Stattdessen schlug Warschau vor, das Verteidigungssystem in der Ukraine zu platzieren. Dann, zwei Wochen später, kam es in Warschau zu einem weiteren Wendepunkt: Die polnische Regierung prüft nun doch den deutschen Vorschlag. Im gleichen Atemzug erhebt er aber erneut den Vorwurf, Deutschland zeige wenig Interesse an einer umfassenden Unterstützung der Ukraine.
Die Reaktion Polens wird noch verschärft, als der Sprecher der PiS sagte, die Polen sollten nicht wirklich damit rechnen, dass das Patriot-System auf ihrem Territorium stationiert wird. Zu oft hat die Bundesregierung Ankündigungen gemacht, nur um ihr Wort zu brechen. Deutlicher kann man sein Misstrauen gegenüber seinem westlichen Nachbarn nicht ausdrücken.
Dazu passt auch die weitere Kritik des Bundesverteidigungsministers: Demnach sollte der deutsche Patriot-Vorschlag eigentlich zwischen Berlin und Warschau geheim gehalten werden – doch daran wollte sich der Minister offenbar nicht halten. Ebenso problematisch ist der zwischen Polen und Deutschland vereinbarte Panzertausch. Da Polen ab dem 24. Februar 2022 fast 300 Panzer sowjetischer Bauart an die Ukraine übergab und damit den polnischen Bestand (bisher 800 Panzer) erschöpfte, entstand die Idee, dass Deutschland diese auffüllt.
Zunächst konnte die Bundesregierung ihrem Nachbarn nur 20 Leopard-2-Panzer anbieten, die allerdings erst nach sechs Monaten einsatzbereit gewesen wären. Außerdem sollte Warschau 100 ältere Panzer Leopard 1 erhalten.Für die polnische Regierung war dies jedoch nicht akzeptabel, da sie einen Ausgleich in der Bataillonsstärke (44 Panzer) im Auge hatte und andererseits nicht aufnehmen wollte veraltete Geräte in ihren Beständen.
Polen auf dem Weg zu einer mächtigen Militärmacht
Seit einigen Wochen scheint es in dieser Frage keine Bewegung zu geben. Vor allem in Polen fühlt man sich von Berlin wenig unterstützt – ein Umstand, der Deutschland zusätzliche Glaubwürdigkeit kostet. Neben dem „patriotischen Gehabe“ und dem schleppenden Ringtausch sei es der Bundesregierung auch nicht gelungen, Polen vom European Sky Shield zu überzeugen. Auf deutsche Initiative hin wollen sich 15 europäische Staaten an dem Projekt beteiligen, um ein gemeinsames europäisches Luftverteidigungssystem zu schaffen.