
Doha (dpa) – Kein Schild an der Tür, als wäre dieser Ort nicht hier. Zwei Treppen hoch, ein Stück nach links – und plötzlich sieht es aus wie in London. Oder Dublin. Oder Berlin. Außer in Doha.
Die Wände sind aus Holz und die Lichter sind mit Zigarettenrauch verschmiert. Die Band singt “Gimme! Gimme! Gimme!” by ABBA, die meisten Besucher halten einen halben Liter Bier in der Hand, manche tanzen. Ein Ort, der in jeder europäischen Großstadt und für jede Fußballweltmeisterschaft stehen könnte. Deshalb wirkt es hier zunächst seltsam.
Im Red Lion in der Hauptstadt von Katar tummeln sich fast nur Einheimische. Es sind Leute, die Trikots aus England, Brasilien, Wales oder Spanien tragen, alle Fans, die jemals zur Weltmeisterschaft gereist sind. Für sie scheint der Rote Löwe ein heiliger Ort zu sein, an dem sie das leben können, was sie in ihrem Land kennen, aber in Katar nie für möglich gehalten hätten. Unter dem Strich würde es in der Endrunde, die vor allem in Deutschland wegen Menschenrechtsverletzungen sehr umstritten gewesen wäre, keine WM-Atmosphäre geben. Ist es?
Großer Andrang beim Fanfest
„Ich kann immer noch nicht fassen, wie viel Glück ich habe, der millionste Gast bei einem Fanfest zu sein“, zitierte der Weltverband FIFA am Wochenende nach zwei WM-Tagen einen Fan. Die Großleinwand im Al-Bidda-Park an der Flaggschiff-Promenade Corniche soll ungestört sein. Es ist einer der wenigen Orte, an denen im Rahmen der WM kein Alkohol verkauft werden darf. Die viel diskutierte Schließung des Stadions kurz vor Beginn der WM hat sich zumindest aus Sicht der streng auf Ordnung bedachten Veranstalter ausgezahlt.
Die An- und Abreise zu den acht Stadien ist einfach. Wer zu den Spielen reist, insbesondere von lateinamerikanischen und arabischen Mannschaften, erlebt WM-Spirit und Gesänge erst in den modernen U-Bahnen und dann in den Stadien. Marokko, Tunesien, Saudi-Arabien, Argentinien und Mexiko haben oder werden von mehr als 30.000 Fans bei jedem WM-Spiel in Doha unterstützt. Andererseits tat das Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft, unterstützt von einigen tausend einheimischen Fans, dem Geist der WM keinen Abbruch. Internationaler Sport gilt in Deutschland nicht als Unterhaltungsquelle daheim.
In den U-Bahn-Stationen sorgen hunderte freiwillige Helfer und die eigens eingesetzte, schwarz gekleidete „Tournament Security Force“ dafür, dass sich der Menschenstrom langsam, aber stetig und kontrolliert bewegt. Die Sicherheitskräfte verschiedener Länder verzichten auf präventive Waffen. Die meisten tragen Baseballmützen. Und das Sicherheitsgefühl ist nach Fußballspielen höher als in anderen deutschen Städten. Allerdings nur, wenn sehr strenge Regeln eingehalten werden, von denen einige weit von dem entfernt sind, was sie sein sollten.
Das Konzept funktioniert auf der Turnierblase
Meldungen der ersten Wochen über Ereignisse aufgrund von Regenbogenfarben auf Armbinden, Trikots und Fahnen sind in der zweiten Hälfte der Hinrunde zurückgegangen. Homosexualität ist in Katar illegal und kann mit bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft werden. Fans kennen die Tatsache, dass es genaue Routen rund um die Stadien und Hallen gibt, die von Freiwilligen mit großen zeigenden Händen bereitgestellt werden. Diese Idee funktioniert zumindest in der Blase eines großen Turniers, wo alles mit der Welt in Ordnung zu sein scheint und die laute Kritik der Menge verhallt.
Die Finalspiele 2018 in Russland endeten mit stimmungsvollen Auftritten. Der effektvolle Mythos vom gesellschaftlichen und politischen Wandel durch Sport wurde zuletzt durch Russlands Angriffskrieg in der Ukraine auf Unsinn reduziert.
Katars WM-Manager Hassan al-Thawadi sprach in einem viel beachteten Interview von „ungefähr 400, zwischen 400 und 500“ ausländischen Arbeitern, die bei der Vorbereitung auf die WM gestorben seien. In der Erklärung wiederholten die Organisatoren die Behauptung, dass sie sich auf die nationalen Statistiken aller arbeitsbedingten Todesfälle im ganzen Land in Katar in allen Sektoren und Nationalitäten für den Zeitraum 2014-2020 bezogen. Diese Nummer ist 414.
„Es gibt keinen Grund mehr, Familien Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu verweigern“, sagte Steve Cockburn, Direktor für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte bei der Menschenrechtsgruppe Amnesty International, als Antwort auf den Bericht von al-Thawadi. „Bis alle Misshandlungen von Wanderarbeitern in Katar aufgeklärt sind, wird das Vermächtnis dieser Weltmeisterschaft stark getrübt“, sagte Cockburn.
Ein aufsehenerregender Bericht des britischen „Guardian“ hatte Anfang 2021 von mehr als 6500 toten Gastarbeitern aus fünf asiatischen Ländern in dem Emirat in den zehn Jahren seit der Vergabe der WM 2010 gesprochen. Katar wies die folgende Kritik zurück und sprach von normalen Sterberaten.
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