
DNach Informationen von WELT hat der rechtsextreme Hale-Killer Stephan Balliet bei der Geiselnahme im Gefängnis ein „selbstgebautes Schussgerät“ eingesetzt, mit dem er einen Schuss in Richtung Zaun abgefeuert hat. Das erfuhr WELT aus Sicherheitskreisen. Bei der Durchsuchung bei Balliet wurden außerdem ein Messer, eine Bastelschere und ein Dosenöffner gefunden.
Balliet nahm im Hochsicherheitsgefängnis Burg bei Magdeburg zwei Vollzugsbeamte als Geiseln. Der 30-Jährige sei am Montagabend nach weniger als einer Stunde überwältigt worden, bestätigte das Justizministerium. Demnach habe der Insasse, als er gegen 21 Uhr eingesperrt wurde, zunächst die Kontrolle über den Mitarbeiter übernommen. Nach Angaben von Wolfgang Reichel, Leiter des Justizvollzugs im Justizministerium von Sachsen-Anhalt, brachte er die Geisel in den JVA-Hof. Dort forderte er einen anderen Mitarbeiter auf, weitere Türen „mit heftigen Gesten“ zu öffnen, und gelangte so ins Innere der JVA, wo er nicht weiter konnte.
Laut WELT bedrohte er die Geiseln mit einem „waffenähnlichen Gegenstand“ und forderte ihre Freilassung, sonst würde er schießen. „Der Entführer unterstützte seine Bitte, indem er eine Kugel in Richtung des Zauns abfeuerte“, hieß es.
Reichel lobte das Verhalten der Geiseln, die “äußerst umsichtig” die Voraussetzungen geschaffen hätten, um die Geiselnahme zu beenden. Der Täter wurde schließlich von anderen Gefängnisbeamten im Gefängnis überwältigt. Nach Angaben der Behörden wurde Balliet „nicht ernsthaft“ verletzt und befindet sich nach ärztlicher Versorgung nun in einer sicheren Zelle. Die vorübergehende Überstellung des Gefangenen in ein anderes Bundesland bis zur Aufarbeitung des Vorfalls wird erwogen. Das Landeskriminalamt ermittelt in der Haftanstalt. Eine Gefahr für die Allgemeinheit bestand jedoch laut Reichel nicht, und solche Vorfälle seien nie ganz auszuschließen.
Die Mitarbeiter wurden den Angaben zufolge körperlich nicht verletzt, aber versorgt. Die Geiselnahme löste einen Großeinsatz der Polizei aus. Beamte bezogen schwer bewaffnet Stellung vor dem Gefängnis.
Faeser appelliert an Gefängnisbetreiber
Bundesinnenministerin Nancy Faeser forderte die Gefängnisbetreiber auf, ihre Sicherheitsmaßnahmen zu überprüfen. „Das macht mir natürlich Sorgen“, sagte der SPD-Politiker dem Fernsehsender WELT. „Sie lädt die Verantwortlichen der Justizvollzugsanstalten in Deutschland ein, genauer hinzuschauen. Besonders bei jemandem wie dem Hale-Mörder, von dem wir wissen, dass er schon einmal versucht hat, während des Prozesses zu fliehen, gibt es auch dort einen besonderen Fokus.
Hale-Mörder Stephan Balliet wurde am 21. Dezember 2020 zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Seine Strafe verbüßt er im Gefängnis Burg. Es ist das größte und modernste Hochsicherheitsgefängnis in Sachsen-Anhalt. Balliet gilt als unkooperativer und schwieriger Gefangener. Am Pfingstwochenende 2020 versuchte er als Angeklagter im Hale-Prozess, aus der JVA-Halle zu fliehen. Während eines Spaziergangs um den Hof kletterte er über einen 12-Fuß-Zaun und verbrachte fünf Minuten damit, unbeaufsichtigt nach einem Weg aus dem Gefängnis zu suchen, bevor er von Gerichtsbeamten wieder eingefangen wurde.
Stephan Balliet im Dezember 2020 vor Gericht: Der Rechtsextremist hatte beim Jom-Kippur-Anschlag selbstgebastelte Waffen dabei
Quelle: dpa/Hendrik Schmidt
Insider berichten von den vielen „kleinen Käfern“, die Balliet in Gewahrsam lässt. Dies bindet viel personelle Energie und sorgt so dafür, dass normale Abläufe für andere Gefangene nicht immer eingehalten werden können. Das Ministerium berichtete von einem Fall, in dem ein 30-jähriger Mann die Tür seiner Zelle mit Papier verstopfte. Als Disziplinarmaßnahme wurde ihm jeglicher Kontakt zu anderen verboten und er wurde in einen nackten Raum gebracht.
„Ich bin erschüttert, dass der Häftling seine Einstellung offenbar überhaupt nicht geändert hat“, sagte Sachsen-Anhalts Justizministerin Franziska Weidinger (CDU) am Dienstag auf einer Pressekonferenz. Es ist bekannt, welcher Gefahr der Gefangene ausgesetzt ist, daher wird sein Verhalten genau überwacht und bewertet. Die Tat „hätte gründlicher untersucht werden müssen“. Sie lehnte es ab, sich zu Berichten über eine Schusswaffe zu äußern.
Am 9. Oktober 2019 versuchte ein rechtsextremer Attentäter, am Jom Kippur, dem größten jüdischen Feiertag, in eine Synagoge in Hale einzudringen und ein Massaker anzurichten. Er warf Brand- und Sprengkörper und schoss auf die Haustür. Als er das Gelände nicht betreten konnte, tötete er vor der Synagoge einen 40-jährigen Passanten und einen 20-jährigen Mann in einem nahe gelegenen Dönerladen. Er verletzte andere Menschen, als er weglief.
Burg hat 637 Haftplätze
Die Justizvollzugsanstalt Burg unweit der Autobahn 2 verfügt nach Angaben des Justizministeriums über 637 Plätze in geschlossenen Justizvollzugsanstalten, 18 Plätze sind der Sicherungsverwahrung vorbehalten.
Inzwischen wurden erste Forderungen nach Klärung und Beseitigung von Schwachstellen im Gefängnis laut. „Die Welt schaut auf Sachsen-Anhalt und die Landesregierung hat eine besondere Verantwortung und muss sehr behutsam handeln“, sagte die Fraktionschefin der Linken, Eva von Angern. Justizminister Weidinger muss alles dafür tun, dass der aktuelle Vorfall verfolgt und Schwachstellen angegangen werden.
Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Sebastian Striegel, forderte eine baldige Sitzung des Rechtsausschusses des Landtags. „Jetzt müssen wir schnell belastbare Informationen bekommen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Er sei “äußerst besorgt”, dass der Attentäter nach dem Fluchtversuch aus der Justizvollzugsanstalt Halle und einem versuchten Angriff auf das Gericht nach der Urteilsverkündung erneut “einen schweren Sicherheitsvorfall verursacht” habe.