
Illegale Polizei operiert weltweit
China jagt Dissidenten in Deutschland
Von Marcel Grzanna
28.10.2022, 20:08 Uhr
Chinesische Behörden betreiben weltweit illegale Polizeistationen. Das Hauptziel ist es, Kriminelle zu überzeugen, in ihre Häuser zurückzukehren. Doch auch Regimekritiker werden von Sicherheitskräften massiv unter Druck gesetzt – auch in Deutschland, wo die Polizei bisher nicht ermitteln konnte.
Yang Weidong hatte in der Vergangenheit viel mit der chinesischen Polizei zu tun. Bekannt wurde er als Dokumentarfilmer durch eine Reihe von Hunderten von Interviews, die sich kritisch mit Chinas politischer und gesellschaftlicher Entwicklung auseinandersetzen. Das Projekt rückte ihn zunehmend ins Rampenlicht der Sicherheitsbehörden.
Das war ihm nichts Neues. Auch als seine Mutter, die Ärztin Xue Yinxian, über Dopingpraktiken im chinesischen Sport sprach, musste sich die Familie an regelmäßige Besuche der Polizei gewöhnen. Zum Beispiel 2007, ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Peking. Beamte warnten seine Mutter davor, in China über Doping zu sprechen. Es kam zu einer Schlägerei, bei der der Vater auf den Kopf fiel und drei Monate später starb.
“Sie wollen uns Angst machen”
Mutter, Sohn und seine Frau leben seit mehreren Jahren in Deutschland. Im Oktober 2017 erhielten sie politisches Asyl. Die chinesischen Sicherheitskräfte haben immer noch Yang Weidong im Nacken. Nicht direkt, sondern über Botschafts- oder Konsulatsbeamte oder chinesische Studenten im Ausland. Yang erinnert sich, dass er und seine Frau einst von jungen chinesischen Männern verfolgt wurden, die ihnen sagten, sie wüssten, wo er wohne.
“Hinter solchen Warnungen steckt die chinesische Polizei”, vermutet Yang im Gespräch mit ntv.de. „Sie wollen uns Angst machen und uns zermürben, damit wir uns zurückziehen. Sie nutzen die Schüler als Werkzeuge dafür“, sagt er. Young hat in den vergangenen zwölf Monaten dreimal die deutsche Polizei verständigt. Seine Mutter, seine Frau und er fühlen sich bedroht. Aber die Kommunen seien machtlos, solange keine Straftaten begangen würden, lautete die Antwort. Immerhin versprachen die Beamten, weitere Patrouillen im Bereich des Wohnortes zu führen.
Offenbar wissen die chinesischen Behörden über jeden Schritt des Regimekritikers in Deutschland Bescheid, einschließlich der Meldungen an die Polizei. Im Juli rief Yang Weidongs Bruder aus der ostchinesischen Provinz Shandong an und riet ihm, die Mutter nach Hause zu bringen, anstatt mit den deutschen Behörden zu kooperieren. Yang vermutet, dass sein Bruder zu dem Anruf gezwungen wurde.
Polizeidienststellen in über 30 Staaten
Dass die Sicherheitskräfte in der Volksrepublik auf dem neuesten Stand sind, ist laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders auch ein Ergebnis illegaler chinesischer Polizeieinsätze im Ausland. Die Organisation hat bislang 54 sogenannte Overseas Police Stations (ÜPS) in der Volksrepublik China in 30 Bundesstaaten identifiziert. Allein in Spanien, wo die Organisation ihren Sitz hat, wurden neun solcher Standorte identifiziert. In Deutschland hat eine illegale ÜPS ihren Sitz in Frankfurt. Niederländische Medien enthüllten am Mittwoch Details von zwei Sendern in den Niederlanden. Das niederländische Außenministerium kündigte eine eingehende Untersuchung an.
Sicherheitsmaßnahmen besagen, dass informelle Polizeistationen ursprünglich geschaffen wurden, um Auslandschinesen davor zu schützen, von ihren Landsleuten betrogen zu werden. In den chinesischen Überseegemeinden haben insbesondere Fälle von Telefon- oder Internetbetrug massiv zugenommen. Die Behörden wollten die Verdächtigen zur Rückkehr nach China überreden. Allein im Zeitraum von April 2021 bis Juli 2022 konnten rund 230.000 Auslandschinesen in die Volksrepublik zurückgeholt werden. Das Ministerium für öffentliche Sicherheit, das die Polizei überwacht, gab im April dieses Jahres öffentlich bekannt, dass die Operation ein voller Erfolg war.
Nur keine Abweichler im Ausland
Das Ministerium nutzt dabei nicht nur die Unterstützung von Studierenden oder Botschaftsmitarbeitern, sondern auch von Organisationen der sogenannten Einheitsfront. Diese ist fast so alt wie die Partei selbst und vor allem für die Marginalisierung des politischen Dissens im Inland, aber zunehmend auch im Ausland verantwortlich. Unzählige chinesische Auslandsverbände in Deutschland und fast allen anderen Ländern der Welt sorgen dafür, dass Auslandschinesen nicht abgelenkt werden, sondern stets die Parteilinie vertreten. Sie werden auch speziell verwendet, um Informationen von ausländischen Partnern zu sammeln und zu verbreiten.
Peking scheint sich gut zu fühlen. „Ich sehe nicht ein, was falsch daran ist, Druck auf Kriminelle auszuüben, damit sie sich an die Justiz wenden“, sagte ein Beamter des chinesischen Außenministeriums der spanischen Zeitung El Correo. Europa ist sehr zurückhaltend bei der Auslieferung von Kriminellen an China. Trotz des Fehlens von Vereinbarungen scheint die Volksrepublik China einen ausreichenden Grund zu finden, internationales Recht zu verletzen.
Die Behörden teilen dagegen öffentlich nicht, dass sie keineswegs nur den Betrügern im Ausland, sondern auch politischen Dissidenten wie Yang Weidong auf die Spur kommen. Auch niederländische Medien berichten über Regimekritiker, die von illegalen Polizeistationen unter Druck geraten sind. Laut Safeguard Defenders verstoßen die angewandten Methoden eindeutig gegen internationales Menschenrechtsrecht und die territoriale Souveränität einzelner Länder.
Berlin hält sich an die Regeln – na und?
Das Innenministerium in Berlin stellt klar, dass es zwischen Deutschland und China kein bilaterales Abkommen über den Betrieb des ÜPS gibt. „Die Bundesregierung duldet keine Ausübung fremder Staatsgewalt und damit haben die chinesischen Behörden keine Exekutivbefugnisse auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass die chinesischen Auslandsvertretungen bei ihren Aktivitäten in Deutschland nachkommen das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen und das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen“, heißt es darin.
Wie das genau ablaufen soll, bleibt fraglich. Mit zunehmender wirtschaftlicher Bedeutung erhält China zunehmend das Recht, gegen internationale Abkommen zu verstoßen. Dieses Selbstverständnis hat Chinas Generalkonsul in Manchester kürzlich deutlich gemacht. Nachdem er einen demokratiefreundlichen Demonstranten in Hongkong gewaltsam angegriffen hatte, sagte dieser zu britischen Medien, dass es die Pflicht jedes Diplomaten sei, so zu handeln, wie er es tut, wenn sein Land oder sein Führer beleidigt wird.