
Neue Formen, neue Labels, eine neue Organisation: Die Berlin Fashion Week wollte diesmal alles anders, endlich alles besser machen. Hat das funktioniert?
Mode von Lou de Bètoly: kleine Handarbeit.Deutscher Moderat
Die zu Ende gegangene Modewoche war im Wesentlichen von drei Themen geprägt: Die Guerilla-Show der Aktivistengruppe The Yes Men, die am Montag im alternativen Modehaus Platte stattfand; Die absurd langen Wege einer Fashion Week, die ihre Gäste neben zentralen Locations und Premium-Messen im tiefen Westen auch zu Shows in Marzahn und Oberschöneweide führte. Und vor allem: Die großzügige Förderung, mit der die Senatsverwaltung für Finanzen, Energie und Betriebe die meisten Veranstaltungen unterstützt hat.
So drehte sich – und das ist ungewöhnlich für eine Fashion Week – auch viel über die anstehenden Neuwahlen in dieser Stadt. Die Frage ist, wie es (mit der neuen oder der alten Regierung) für diese Form der Unterstützung sein wird. Ob es in der nächsten Saison überhaupt Geld für eine Modewoche geben wird, die diesmal im niedrigen siebenstelligen Bereich lag.
Großzügigkeit gegenüber der Berlin Fashion Week ist ein Wagnis – nicht einmal die bildhaften Worte der noch regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey und ihres Wirtschaftssenators Stephan Schwarz, die in ihren Eröffnungsreden am Montag Glanz und Glamour der deutschen Mode betonen wollten. er kann es nicht verbergen. Aber es stimmt auch, dass diese lokale Modewoche nicht immer funktioniert und viele Krisen durchgemacht hat. Und: Dass seine Relevanz von einem stoischen Teil der Branche konsequent geleugnet wird.
SF1OG: Zwischen Zärtlichkeit und Düsternis. Sia Arnika: Großartig für den Techno-Club.Deutscher Moderat
Natürlich sind die ständigen Vergleiche mit Mailand und Paris nicht nur nervig, sondern auch unglaublich dumm. Natürlich ist ein 2007 gegründetes Format, das sich an Deutschlands junge Modegeneration richtet, nicht mit den Modewochen Frankreichs und Italiens zu vergleichen, die es schaffen, seit Jahrzehnten stetig zu wachsen und Marken mit Milliardenumsätzen zu präsentieren. Aber Geld und Größe als einzige Parameter? Wie war es gestern! Wer so argumentiert, versteht Mode zwar als Geschäft, hat aber absolut nichts von ihrem kulturellen Wert und den soziologischen Veränderungen der letzten Jahre verstanden.
Malaikaraiss: Nun zur Braut. Odeeh: Enges Set im Ski-Design.Deutscher Moderat
Die Idee einer unhinterfragbaren sektoralen Hierarchie, bei der die französische Hauptstadt immer an der Spitze steht, ist überholt (und übrigens auch eurozentristisch, angesichts der vielen spannenden Formen, die derzeit in Afrika entstehen). Wer Mode nicht als Ganzes verstehen kann – als gesellschaftliches Phänomen und gesellschaftliche Praxis, die sich heute mehr denn je aus den unterschiedlichsten Einflüssen, Orten und Kulturen zusammensetzt – sollte sich besser gar nicht erst auf die Diskussion dieses schwierigen Konstrukts einlassen. Mit plumpen Vergleichen kommt man nicht weit. Oder wie Premium-Chefin Anita Tillmann letzte Woche mit Blick auf Paris und Berlin der Berliner Zeitung sagte: „Man vergleicht eine ältere, elegante Dame nicht mit einer rebellischen 20-Jährigen!“
LML Studio: Handgewebte Materialien; Rianna + Nina: Opulenz von internationalem Ruhm.Deutscher Moderat
Nun – die Berlin Fashion Week (satte 20 Jahre seit Tillmans Wechsel) konnte ihren Willen zur Innovation, sowie ihren Ungehorsam und Ungehorsam gegenüber besagten beschichteten Konstruktionen demonstrieren. Durch kritische, unbequeme Beiträge wie die Guerilla-Aktion im Archiv oder die Expertenkonferenz Nachhaltigkeit „202030 – The Berlin Fashion Summit“. Veranschaulichend den hochmodernen Ansatz des Direktvertriebs, wie etwa bei Designer William Fan, der seine Erfolgskollektion nicht auf einer Show, sondern über einen Pop-up-Shop präsentierte (und seinen Gästen den Slogan „see now, buy now“ gab). Und auch mit zahlreiche Modenschauen, die sich insgesamt vor allem durch eine große Look-Vielfalt auszeichneten.
Warst du nicht dort? Es ist ihre Schuld!
Die erstmalige Auslagerung der gesamten Organisation der Fashion Week an das Fashion Council Germany war eine gute Entscheidung. Der 2015 gegründete Berliner Interessenverband hat im Auftrag der Senatsverwaltung für Finanzen, Energie und Betriebe mit Hilfe einer Expertenjury die Marken und Unternehmen ausgewählt, die sich auf der Fashion Week präsentieren dürfen. Das Ergebnis ist ein Programm von gleichbleibender Qualität, das viele Stilrichtungen und viele Perspektiven vor allem in den Aufführungen sichtbar gemacht hat.
Namilia: Handgefertigte Motorrad-Looks? Olivia Ballard: Kurvenreicher Schnitt.Deutscher Moderat
Sie reichten von einer technisierten Ultramoderne – wie bei Newcomerin Sia Arnika, die am Montag im Marzahner Industriegebiet voluminöse Kurzjacken neben übergroßen Netzkleidern präsentierte, oder dem international erfolgreichen Label Namilia mit seinen handgefertigten Motorrad-Looks. Die verspielte Opulenz des Duos Rianna + Nina, dessen farbenfrohe und mutig gemusterte Ensembles auch bei Bergdorf in Manhattan zuverlässig an der Theke verkauft werden.
Fassbender: Ekstatischer Faltenwurf? Haderlump: Patchwork-Denim auf Leder.Deutscher Moderat
Große Liebe galt auch dem kleineren Handwerk Berlins. Zum Beispiel an Lou de Bètoly, die nach Jahren der Abstinenz auf der Fashion Week wieder mit ihren fein gewebten Häkelarbeiten bezauberte – tragbare Kunst und nicht nur Kleider. Oder mit dem impulsiven Modekünstler Lucas Meyer-Leclère, der am Mittwoch handgefertigte Textilien für sein LML Studio in der Sankt Marienkirche präsentierte – selbst gefärbt, geschnitten und geschreddert. Rosa Marga Dahl greift selbst in die Klamotten: Sie zeigte am Dienstag im Roten Rathaus eine fantastische Kollektion ihrer Marke SF1OG, changierend zwischen textiler Zartheit und atmosphärischer Düsternis.
Litkovska: Jeans in Hülle und Fülle? Frontlook: Eine Jacke von Anne Bernecker.Deutscher Moderat
Auch eine gute Nachricht: Manche Marken, vor allem die etablierten, haben in dieser Saison ganz neue oder zumindest untypische Ideen präsentiert. Designerin Malaika Raiss beispielsweise macht es jetzt auch modern, weil sie sich Brautmode vorbehalten hat (eine wirklich kluge Entscheidung!), die einfach am Körper der Frau fließt. Das Label Odeeh hat seine großzügigen Mäntel und Kleider in Oversized-Mustern mit körpernahen, funktionalen Designs in Grau und Schwarz ergänzt – das Ergebnis ist eine charakterstarke und dennoch vielseitige Kollektion.
Ebenfalls erwähnenswert: die ukrainische Marke Litkovska mit ihren weiten Denim-Ensembles und gestreiften Anzügen. das Label Fassbender mit metallisch glänzenden Materialien, die in den exzentrischen Falten schön strahlen. Designerin Olivia Ballard, ein Liebling der Berliner Szene, schloss die Fashion Week am Donnerstag in einem kurvigen, schmeichelnden Schnitt. Und: die Berliner Marke Haderlump, die erstmals eine Modenschau präsentierte. Ihre Kollektion war noch geprägt vom Experimentieren, Ausprobieren. Stark und dynamisch wird die Linie genau dort, wo sie die Technik des lebhaften Patchworks mit ruhigeren Stücken kontrastiert – zum Beispiel Lederjacken in Kastenform oder Mäntel mit sehr langer Silhouette.
Und dann war da noch die Regie von Vorn: Neben einer immersiven Ausstellung computergenerierter Kleidung, die das Physische und Digitale vereinen soll (das Schlagwort „Phygital“), präsentierte das neue Kollektiv auch eine Show mit den Designs dutzender nachhaltiger Labels . Es gab also in den letzten fünf Tagen sicherlich viel zu sehen. Es ist deine Schuld, wenn du nicht hinsiehst.