Politik oder Wissenschaft? Der Historiker als Ukraine-Aktivist

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Aus: Michael Hessen

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Timothy Snyder Professor für Geschichte.
Timothy Snyder Professor für Geschichte. © Alex Halada/Imagination

Das Engagement des Bestsellerautors Timothy Snyder für die Ukraine wird kritisiert.

Timothy Snyder gilt als Genie. Der 54-jährige Historiker spricht zehn, elf Sprachen, vor allem osteuropäische Redewendungen. Er selbst sieht darin einen unschätzbaren Vorteil, wenn es darum geht, Archive in Polen, Tschechien, Russland oder der Ukraine nach neuen Erkenntnissen zu durchforsten. Diesen Vorteil reibt er gerne deutschen Historikern ins Gesicht. Snyder hat in vielen seiner Bücher gesunden Menschenverstand bewiesen. Schon früh warf er der russischen Gesellschaft und mehr noch der Elite in Moskau faschistische Tendenzen vor. Dies sehe er auch seitens der USA in der Ausbildung von Oligarchen, die wie in Russland das Land zunehmend besetzen, erklärte er in einem FR-Interview.

Snyder hat seine Unterstützung für die Ukraine nie verheimlicht. Von Anfang an verurteilte er nicht nur die russische Invasion scharf, sondern forderte auch massive westliche Unterstützung für das Land.

Snyder stellt sich hinter die Ukraine – Politik oder Wissenschaft? Aktivist oder Historiker?

Allerdings sorgt der tadellose Historiker nun mit Funktion für Ärger. Denn Snyder präsentierte zusammen mit dem ukrainischen Präsidenten Volodymyr Selenskyj eine Zusammenarbeit, die überraschte. Snyder soll Botschafter der Spendenaktion „The Shahed Catcher“ sein, um Spenden für das Antivirensystem der Ukraine zu sammeln. Der Yale-Professor wurde als „führender Historiker und Freund der Ukraine“ dargestellt, was nicht besonders problematisch ist. Doch nicht nur die „Süddeutsche Zeitung“ fragte, ob es unbedingt notwendig sei, einen Historiker, der sich für seine Forschung der Objektivität verpflichtet fühlt, um legitime Unterstützung zu bitten. Und bei diesem Engagement stellt sich die Frage, ob Unabhängigkeit eigentlich noch gegeben ist.

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Im Fall des amerikanischen Historikers erscheint die Infragestellung seines unabhängigen Urteils als Fachhistoriker zunächst skurril. Denn Snyder tut alles Erdenkliche, um die Geschichte der Ukraine oder das obskure Geschichtsbild des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu beleuchten. Die Frage ist jedoch, ob das, was Snyder tut, Wissenschaft oder Politik ist. Im letzteren Fall sollte man Snyders Veröffentlichungen deutlich anders bewerten.

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Ukraine-Krieg: Sindos mit problematischen Völkermord-Erklärungen

Seine Aussage, dass die Russen einen Völkermord in der Ukraine planen, sollte als Aussage eines ukrainischen Aktivisten und nicht als ausgewogenes Urteil eines Wissenschaftlers gewertet werden. Beunruhigend daran ist sein Hinweis auf einen hierzulande völlig unbekannten russischen Spin-Doktor namens Timofey Sergezew. Sergeytsev rief zur Ermordung der ukrainischen Elite und zur Zerstörung der ukrainischen Kultur auf und passte damit in die Kategorien, die einen Willen zum geplanten Völkermord signalisieren. In einem Artikel der «NZZ» stellte Snyder es als eine Art Referenz für russische Absichten dar. Es ist völlig fraglich, welchen Einfluss er hat und ob sein Wort Putin wirklich erreichen könnte.

Wissenschaftler fragen sich, ob Snyders Anwendung des Begriffs Faschismus auf die russische Gesellschaft wirklich richtig ist. Ihm wird ein zu lockerer wissenschaftlicher Gebrauch des Begriffs vorgeworfen. Deutsche Historiker haben ihn immer wieder für seine vielen, vielbeachteten Buchveröffentlichungen kritisiert. Er selbst sagte einmal in einem Interview mit der FR, dass seine Thesen zur NS-Zeit hauptsächlich und fast ausschließlich von deutschen Historikern in Frage gestellt würden.

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Ukrainischer Experte bezeichnet Syders Interpretationen als „problematisch oder einfach schmutzig“

Mit dem Buch „Bloodlands“ wurde Snyder international gefeiert. Der britische Historiker und Hitler-Biograf Ian Kershaw sagte der FR, es sei ein brillant geschriebenes Buch. Doch deutsche Forscher kritisieren nicht nur ungenaue Zitate, sondern auch seine These von einem geografisch klar abgrenzbaren Gebiet. Snyder vergisst Kasachstan, die russische Wolga-Region und auch den Kaukasus, wenn es um die durch Stalins Pläne ausgelöste Hungersnot geht. Ein weiterer Vorwurf lautet, dass Snyder unterstellt, Stalin habe ähnliche Völkermordabsichten wie Hitler gehabt. Dafür fehlen Beweise. Auch die ukrainische Spezialistin Franziska Davies identifizierte viele Interpretationen des gefeierten Meisterwerks „Bloodlands“, die „problematisch oder einfach schmutzig“ seien.

Snyder reagierte nicht auf die Debatte. Er stellt Putin neben Stalin und Hitler. Er nennt den aktuellen Putinismus “Schizofaschismus”. Ob er hier als Aktivist oder als Historiker zu Wort kommt, bleibt offen. (Michael Hessen)

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