
Pierluigi Collina sieht immer noch so aus, als könnte er ein frühes WM-Finale ausrichten. Der Italiener mit den lockigen Haaren ist jetzt 62 Jahre alt, sein Aussehen hat sich nicht verändert, er hat immer noch Sinn für Humor, seine Augen dulden keinen Widerspruch, und seine Stimme schon gar nicht. Collina gehört zu jenen Menschen, die eine natürliche Kraft im Auftreten haben, was ihn unter anderem zum damals besten Schiedsrichter der Welt machte.
Collina, der jetzt Chef der wohl besten Schiedsrichter der Welt ist, trägt den Titel „Vorsitzender des Fifa-Schiedsrichterausschusses“ und ist als solcher für die Schiedsrichter des Turniers verantwortlich. Vor der WM sitzt er in einem sehr großen Konferenzraum in einem klimatisierten Gebäude und erklärt, worauf Spieler, Schiedsrichter und Zuschauer achten sollten. Collina erklärt einfache Dinge, etwa dass Fouls, die die Gesundheit von Spielern gefährden, vermehrt mit einer roten Karte geahndet werden sollten.
Er bereitet das Publikum auch auf längere Stücke vor. Die Spieloffiziellen wurden gebeten, die Nachspielzeit strikt auszulegen. Wenn in einer Halbzeit drei Tore fallen, verliere man viel Zeit zum Feiern, sagte Collina. Niemand sollte sich von der WM überraschen lassen, selbst bei vermeintlich normalen Spielen mehr als neun Minuten Nachspielzeit. In der deutschen Bundesliga wird die Nachspielzeit traditionell sparsam genutzt, nur in Sonderfällen sind es mehr als fünf Verlängerungsminuten.
In Katar ist was Abseits los
Aber Collina erklärt auch Komplexitäten, wie zum Beispiel die Änderung der Art und Weise, wie die Abseitsregel interpretiert wird, wenn der Ball von einem gegnerischen Spieler kommt. Der Schiedsrichter muss nun interpretieren, dass dies „kontrolliert“ geschieht. Collina zeigt immer komplexere Beispiele und räumt schließlich ein, dass die Regel zwar fußballerisch nun ordentlich ausgearbeitet sei, es den Schiedsrichtern aber nicht leichtgefallen sei. „Aber wir bitten die Schiedsrichter, den Ball zu verstehen“, sagte Collina.
Vor allem stellte die FIFA ein neues Spielzeug vor, die „Semi-Automatic Offside Technology“, was sich mit halbautomatischer Abseitserkennung übersetzen lässt. Ein System aus zwölf Kameras im Stadion zeichnet jeden Spieler auf, am Ball befindet sich ein Sensor und das System – die FIFA nennt es „virtuelle Intelligenz“ – errechnet in jeder Spielsituation die mögliche Position des Zuschauers und sendet das Video an den Schiedsrichter Alarm.
“Es sollte die Arbeit des Video-Schiedsrichters erleichtern”, sagte Collina. Bisher musste VAR jeden Bereich um sich herum betrachten, was Zeit kostet und eine ohnehin schwierige Aufgabe noch schwieriger macht. Zumindest in den Fifa-Demonstrationsvideos funktioniert das an die “Hawk-Eye”-Software zur Ballerkennung im Tennis erinnernde System gut. Er wurde unter anderem bei der Klub-WM getestet.
Und etwas Neues gibt es bei dieser WM: Erstmals gehören sechs Frauen zum Schiedsrichterteam. Gewählt wurden die Französin Stéphanie Frappart, die seit mehreren Jahren als beste Schiedsrichterin der Welt gilt, die Endrunde der WM 2019 leitete und seit 2019 Länderspiele im Männerfußball leitet, Salima Mukansanga (Ruanda) und Yoshimi Yamashita ( Japan). ) wurden als Schiedsrichter eingesetzt, Neuza Back (Brasilien), Karen Diaz Medina (Mexiko) und Kathryn Nesbitt (Amerikanerin) wurden als Assistenten ernannt.
„Das Engagement von Frauen ist neu und alles Neue weckt Interesse“, sagte Collina, als sie danach gefragt wurde. Allerdings würde es keine Quote geben, alle Schiedsrichter würden unabhängig von ihrem Geschlecht aufgrund ihrer Leistung ernannt und auch über weitere Ernennungen entschieden. Der Berliner Daniel Siebert wurde für den DFB nominiert, Rafael Foltyn und Jan Seidel als seine Assistenten, Bastian Dankert und Marco Fritz fungierten als Video-Schiedsrichter. Das Eröffnungsspiel wird vom Italiener Daniele Orsato geleitet.