
Berlin (dpa) – In dieser Serie geht es um etwas: Sex in Handschellen, Sex auf dem Tisch, Sex auf der Toilette, Selbstbefriedigung mit Ballon zwischen den Beinen und so weiter. Seit einigen Tagen ist die deutsche Prime-Video-Produktion „Love Addicts“ online. Die achtteilige Serie dreht sich um eine Therapiegruppe von vier Mittzwanzigern, die alle mit ihrem Liebesleben zu kämpfen haben.
Zoé (Malaya Stern Takeda) ist ein sexueller Sog. Ben (Dimitri Abold) ist der perfekte Liebhaber, aber er fürchtet nichts mehr als Gefühle. Nele (Magdalena Laubisch) findet in ihrer Fantasiewelt immer die falschen Typen. Und Dennis (Anselm Bresgott) kann seiner Horror-Freundin nicht entkommen. Therapeutin Anja (Anet Frier) verlässt bald den Weg der normalen Behandlung. “Love Addicts” geht intime Szenen viel weiter als üblich. Wie dreht man 2022?
Berater Alev Irmak sah sich am Set alle Sexszenen dieser Serie an. Der Fachbegriff dafür lautet: Intimitätskoordinator. „Meine Aufgabe ist es, die Produktion, insbesondere die Schauspieler und Regisseure, in intimen Szenen zu unterstützen und für eine authentische und spannende Aufführung zu sorgen.“ Es gehe darum, die „emotionalen, körperlichen und persönlichen Grenzen und die private Sexualität“ des Darstellers zu schützen, sagt Irmak.
Absolut no goss
Denn ohne eine so präzise Vorbereitung gebe es Risiken, erklärt Irmak. “Das Worst-Case-Szenario ist zum Beispiel, wenn die Schauspieler nicht über die Szene gesprochen werden und sie nicht wissen, was an diesem Tag passieren wird.” Oder wenn jemand während der Dreharbeiten Bedenken äußert oder seine Grenzen deutlich macht und mit „Sei nicht so unhöflich!“ antwortet. hören “Viele sind davon überzeugt, dass sie als “schwierig” gelten und keinen Job mehr bekommen, wenn sie nicht tun, was von ihnen verlangt wird.” Anweisungen wie „Überrasche deinen Partner“ sind absolut verboten. Dann müssten wir von “Machtmissbrauch und Ausbeutung” sprechen, sagte Irmak.
Über unangenehme Erlebnisse in intimen Szenen spricht die Branche nicht gerne. Sie erreichen die Öffentlichkeit selten. Die Sexszene zwischen Marlon Brando und Maria Schneider in Bernardo Bertoluccis Skandal „Letzter Tango in Paris“ (1972) gilt bis heute als einer der größten Ausrutscher. Schneider sagte später: “Ich fühlte mich verletzt und, um ehrlich zu sein, ein bisschen vergewaltigt, sowohl von Marlon als auch von Bertolucci.”
Idealerweise sollte es sehr früh eingebunden werden, damit die Akteure in einem sicheren Umfeld arbeiten können, sagt Irmak. „Ich lese Bücher und benutze die Anzeigetafel, um das Risiko der betreffenden Szenen einzuschätzen. Es folgen mehrere Einzelgespräche mit verschiedenen Produktionsabteilungen wie Regie, Schauspieler, Kostüme und Maske.» Über Kameraauflösung, notwendige Textilien. Natürlich fragt er auch die Leute vor den Kameras, was sie von den Szenen halten.
Es geht um persönliche Grenzen
Im zweiten Schritt geht es um persönliche Grenzen, wie Schauspielerin Malaya Stern Takeda beschreibt: „Man steht sich gegenüber. Zuerst fühlt sich eine Person und sagt zum Beispiel: “Berühre meinen Kopf.” Du kannst mein Gesicht berühren.»» Es ging darum, den ganzen Körper zu berühren, aber die Teile wegzulassen, wo man nicht berührt werden möchte. „Und dann war es die Aufgabe der anderen Person, hinzuschauen und zu sagen: ‚Ah, nun, ich habe bemerkt, dass du deine Brüste jetzt nicht anfasst.‘ Und dann hat die andere Person es sich selbst angetan.“ Erst dann sei die Aufgabe, sich gegenseitig zu scannen, sagt Takeda.
In der dritten Phase überwacht Alev Irmak die Umsetzung der Szenen. Gedreht wird dann in einem „Closed Set“, also mit minimaler Crew. „An einem „geschlossenen Set“ müssen in der Regel nur die nötigsten Personen während der Dreharbeiten anwesend sein und auf den Monitor schauen“, sagt Schauspieler Dimitri Abold. „Regie, Kamera, Ton, Maske, Szenografie, Szenario, Intimitätscoach. Fünf oder sechs Personen.”
Und nicht alle im selben Raum: „In den Fällen, in denen ich eine intime Szene hatte, waren nie mehr als drei Personen im Raum und nur wenige andere Personen sahen durch den Monitor. Was man auf dem Monitor sieht, ist letztlich etwas anderes als das, was man daneben sieht“, sagt Abold. Zum Vergleich: In den harmlosen Szenen der Serie waren es 40 bis 60 Leute. „Ich denke, am Ende ist es so Es geht nur darum, einen sicheren Rahmen für die Arbeit zu schaffen, damit sich alle wohlfühlen.”
Streaming-Portale sind ein gutes Beispiel
In Deutschland ist es immer noch nicht ganz verstanden, dass Schauspielerinnen und Schauspieler bei Sexszenen so gut auf sich aufpassen. Die großen Streaming-Portale geben jedoch ein gutes Beispiel ab. Denn diesen Trend gibt es international seit fast zehn Jahren und er ist erst seit Kurzem in Deutschland angekommen.
Die #MeToo-Debatte dürfte maßgeblich zur Entwicklung beigetragen haben. „Große Streamer arbeiten ausschließlich mit Intimitätskoordinatoren, da kommen Produktionsfirmen nicht mehr drum herum“, sagt Irmak. “In Deutschland gibt es etwa 15 Intimitätskoordinatoren, Tendenz steigend.”
Schauspielerin Hanna Plass, die in der RTL+-Serie „Faking Hitler“ die Geliebte von Konrad Kujau (Moritz Bleibtreu) spielte, schwärmt von der Unterstützung in intimen Szenen. „Theoretisch ist es vergleichbar mit der Arbeit im Stuntcoaching.“ Während der Dreharbeiten wurde ein „sicheres Wort“ angeboten, also ein Codewort, das sofort beendet wurde. „Intimitätstraining ist eine völlig neue, sinnvolle Art, mit intimen Szenen umzugehen.“ Nützlich, „auch nach dem Dreh“, sagt Plass.