
In einer idealen Welt prüfen Wissenschaftler jedes Ergebnis ihrer Experimente und Studien. Und wenn sich ein Fehler durchschlägt, nehmen sie sogar ein bereits veröffentlichtes Werk weg. In dieser Hinsicht hat sich die Forschungsgruppe um Jan Felix Drexler von der Berliner Charité vorbildlich verhalten und eine im renommierten Magazin „Science“ veröffentlichte und eigentlich von unabhängigen Experten verifizierte Studie zurückgezogen, weil Forscherkollegen weltweit auf grobe Fehler hingewiesen haben. Auf der Arbeit. „Teile der in der Studie getroffenen Aussagen“ seien „nicht mehr zweifelsfrei überprüfbar“, erklärte die Charité.
In der Erklärung der Charité heißt es allerdings nicht, dass der Fehler hätte auffallen können, wenn der Entwurf der Arbeit auf einem „Preprint“-Server wie biorXiv.org oder medrXiv.org veröffentlicht worden wäre. Denn das berührt einen wunden Punkt in der Scientific Community, der alles andere als alltäglich ist, wenn es um eines geht: die Fehlerkultur.
Fehler zu akzeptieren ist für niemanden einfach. In der Wissenschaft führt jedoch der schiere Zeitdruck, Studie um Studie schneller veröffentlichen zu müssen als andere Forschungsteams im Gerangel um Fördermittel, zu Fehlern. Seit Jahren ist bekannt, dass beispielsweise in der biomedizinischen Forschung viele der „begutachteten“ Ergebnisse veröffentlichter Studien nicht reproduzierbar und damit wissenschaftlich „Müll“ sind.
Obwohl viele bezweifeln, dass sogar 80 Prozent „Müll“ sind, wie einige behaupten, berechnet zu werden, bezweifeln sie nicht, dass es viel zu viele gibt, die fehlerhaft oder grundlegend falsch sind. Und wenn auf der Grundlage solcher Studien neue Forschungsgelder bewilligt werden, werden zwangsläufig viele Milliarden Dollar verschwendet, die besser ausgegeben wären.
Am Ende setzt sich in der Wissenschaft das durch, wofür es die meisten Beweise gibt. Das Recht vertreibt das Böse. Aber wie schnell? Wie lange dieser Prozess dauert, ist eine Frage der Organisation, der Wertschätzung und Förderung einer Fehlerkultur. Und Zeit ist nicht nur Geld. Es kann im Extremfall Menschenleben kosten, wenn Fehler oder gar betrügerische Aktivitäten im Wissensprozess nicht rechtzeitig erkannt, angekündigt und korrigiert werden – etwa wenn falsche Ergebnisse zur Wirkung von Krebsmedikamenten zu einer Fehlbehandlung von Millionen Patienten führen.
In Deutschland veröffentlichte beispielsweise der Freiburger Krebsforscher Friedhelm Herrmann fast hundert wissenschaftliche Artikel voller falscher Daten. Es ist unmöglich abzuschätzen, wie viele Menschen durch diese Sabotage des Erkenntnisprozesses in der Onkologie geschädigt wurden
Es geht also nicht nur darum, ehrlich zu handeln, wenn Forscherinnen und Forscher sich der Fehleranfälligkeit ihrer Arbeit bewusster werden und transparent damit umgehen, sondern auch die Selbstkontrolle und Fremdkontrollmechanismen dringend zu verbessern.
Vorabversionen sind nur ein Schritt und weder ausreichend noch perfekt. Massenmedien könnten die ungeprüften Studien leichtsinnig aufgreifen und das bisherige, möglicherweise falsche oder völlig falsche „Wissen“ vorzeitig verbreiten – wie es während der Corona-Pandemie sicherlich geschehen ist.
Die Pandemie hat aber auch gezeigt, dass Preprints eine gute Möglichkeit sind, Fehler in wissenschaftlichen Studien mittels webbasierter Schwarmintelligenz schnell zu identifizieren und die Ergebnisse einzuordnen – solange es eine sachliche Debatte gibt, die wissenschaftlichen Regeln folgt.
Wie wäre es, wenn deutsche Universitäten ihre Forschenden zwingen würden, ihre Studien vor der Veröffentlichung auf einem geeigneten Preprint-Server zur Vordiskussion einzureichen? Das gute alte Peer-Review-System, das im Zeitalter des Internets obsolet geworden war, würde damit auf eine neue, breitere Basis gestellt. Die Charité könnte als Lehre aus ihrem „Wissenschaft“-Fehlpass mit gutem Beispiel vorangehen.
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