
Schmecken Bio-Gänse besser? Gibt es an Weihnachten mehr Familienlinien? Um das Fest der Feste ranken sich viele Mythen. Das sagt die Wissenschaft dazu.
Ist es nur ein Mythos? Oder ist es der Weihnachtsmann? Foto: Trent Parke/Magnum Photos/Agency Focus
BERLIN taz | Weihnachten steht vor der Tür – für viele ist es erschreckend: Konsumwahn, Begegnung mit unliebsamen Verwandten, stressige Autofahrten ins deutsche Umland, endlose Völlerei – und außerdem kann jedes falsche Wort die Stimmung verändern. Aber wird an Weihnachten wirklich so viel gekämpft? Gehört das Weihnachtsfest der Vergangenheit an? Und braucht es wirklich Schnaps, um das alles zu verdauen? Wir haben diese und viele andere Weihnachtsmythen wissenschaftlich überprüft – und wo nötig widerlegt.
Hilft ein silberner Löffel in Champagner?
Dies ist ein beliebtes Märchen, Autor unbekannt. In einer verschlossenen Flasche löst sich die schäumende Kohlensäure im Sekt, weil der Korken einen Gegendruck erzeugt. Ist der Gegendruck weg, entweicht das Gas relativ schnell. Da hilft auch kein silberner Löffel im Flaschenhals. „Die Kohlensäure schießt mit voller Geschwindigkeit durch die Öffnung im Löffel“, sagt Thomas Vilgis, Lebensmittelphysiker an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Auf jeden Fall solltest du einen offenen Sekt im Kühlschrank aufbewahren, denn niedrige Temperaturen halten das Gas besser in Lösung und Kohlensäure entweicht langsamer. Auch ein Spannschloss hilft. „Die Blase hält sich einen Tag im Kühlschrank“, sagt Vilgis.
Schmeckt die Bio-Weihnachtsgans aus der Region besser als die Torfgans aus Osteuropa?
Ja, weil sie ein besseres Gänseleben hatte. Tiere aus Osteuropa haben in der Regel eine kürzere Mastzeit und weniger Bewegung. Einige werden lebend gepflückt oder für Gänseleber gemästet, die nicht gekennzeichnet werden muss. Das ist in Deutschland verboten, aber die Pose muss erkennbar sein. Auch die Fettzeit ist hierzulande generell länger. Geflügel mit Bio-Siegel oder aus „Freilandhaltung“ wird besonders langsam gestriegelt und hat viel Bewegungsfreiheit. Dadurch sammelt sich weniger Fett an und das Fleisch wird feiner marmoriert. Die artgerechte Fütterung auf der Weide verleiht der Gänsekeule meist ein besseres Aroma.
Familien streiten sich zu Weihnachten häufiger als unterjährig.
Wahrscheinlich ja. Dazu gibt es keine Zahlen, aber viele Faktoren tragen dazu bei, dass zur Weihnachtszeit häufiger Schrott fliegt. Schon deshalb, weil in manchen Familien selten so viele Mitglieder in einem Jahr zusammenkommen. „Im Laufe des Jahres hat sich viel Ungesagtes angesammelt“, sagt Marcel Schütz, Professor für Soziologie an der Hamburg North Business School. “Also die ganzen Vorbereitungen vor Weihnachten und die hohen Erwartungen an Harmonie.” Alles soll perfekt sein. Gleichzeitig herrscht seit kurzer Zeit eine relativ strenge Gesellschaftsordnung mit Regeln und Normen, die vor allem junge Menschen fordern. Auch die vielen Besuche bei Verwandten und Nachbarn können Menschen, die in ihre Heimatstadt zurückkehren, stören. „Die Decke fällt dir auf den Kopf, deine Reizbarkeit steigt“, sagt Schütz. All dies kann Plattitüden leicht in Argumente verwandeln. Ein trauriges Indiz für den erhöhten Stress um Weihnachten ist auch die Tatsache, dass Fälle von häuslicher Gewalt in der Weihnachtszeit zunehmen.
Rotkohl hat nicht mehr Nährstoffe, weil er verkocht ist.
Das hängt von der Zubereitung ab. Kohl enthält Ascorbinsäure, die beim Kochen zerfällt und Vitamin C freisetzt. In einigen Fällen ist in gekochtem Kohl mehr Vitamin C enthalten als in rohem. Allerdings sollte man das Ganze nicht zu lange kochen, da sonst das freigesetzte Vitamin C wieder deaktiviert wird. „Die Zugabe von Rotwein oder Essig verzögert den Abbau etwas“, sagt Thomas Vilgis, Experte für Lebensmittelphysik. „Ein weiterer Trick ist, vorher kurz bei 60 bis 70 Grad zu blanchieren, denn das deaktiviert die Enzyme, die den Abbau von Vitamin C beschleunigen.“ Die maximale Garzeit sollte dann 20 Minuten betragen. Hitze macht Kohl auch besser verdaulich. Außerdem werden phenolische Substanzen freigesetzt, die vor Krebs schützen sollen. Die Mineralstoffe im Rotkohl werden beim Kochen in das Kochwasser ausgelaugt, daher ist es besser, den Kohl in etwas Flüssigkeit zu kochen und dazu zu essen. Der Ballaststoffgehalt ist bei beiden Varianten gleich und kann sich sehen lassen.
Essen wir wirklich mehr an Weihnachten?
Ja, die meisten Leute tun es. Eine Übersichtsstudie aus dem Jahr 2017 in verschiedenen Industrieländern zeigte, dass die Menschen von Ende November bis Anfang Januar durchschnittlich 400 bis 900 Gramm auf ihre Hüften legen. In den Ferien ist das Risiko für Übergewicht besonders hoch. „Eine Ursache könnte der sogenannte ‚Social Facilitation‘-Effekt sein“, sagt Nanette Ströbele-Benschop, Ernährungspsychologin an der Universität Hohenheim. “Je mehr Menschen zusammen essen, desto länger dauert die Mahlzeit und desto mehr wird konsumiert.” Alkohol, der auch Kalorien liefert, fließt in den Ferien mehr als sonst.
Macht Schokolade glücklich?
Das ist richtig. Die theoretisch aufwertenden Inhaltsstoffe wie Tryptophan oder Theobromin aus der Kakaobohne sind dafür aber nicht verantwortlich. Diese wirken zwar auf das Gehirn, sind aber in Schokolade nicht in ausreichender Menge enthalten, schon gar nicht in der beliebten Vollmilchschokolade. Der Haupteffekt ist hedonistisch: „Schokolade hat sensorische Eigenschaften wie ihren Schmelz oder ihre Süße, die viele Menschen als sehr angenehm und genussvoll empfinden“, sagt Ernährungspsychologin Nanette Ströbele-Benschop. Kakaobutter schmilzt bei Körpertemperatur, Zucker signalisiert „Kalorien!“. Dadurch wird das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert. Auch die Prägung in der Kindheit könnte eine Rolle spielen. Dann lernten viele, dass Süßigkeiten eine Belohnung sind.
Hilft Alkohol bei der Verdauung?
Das ist ein Mythos. Alkohol verlangsamt tatsächlich die Magenentleerung. Aber: Prozent sorgen für kurzfristige Entspannung, denn Alkohol erweitert die Blutgefäße und entspannt die Muskelzellen, auch die im Magen. Beim Bitterschnaps sind es auch die Kräuter, die mit ihren eiweißspaltenden Enzymen die Produktion der Magensäure anregen und somit die Nahrung besser aufschließen. Sie fühlen sich weniger satt. Bitterstoffe produzieren auch mehr Gallensäure und schicken diese an den Dünndarm, um Fette abzubauen. Bitterstoffe aus Espresso sind besser als Alkohol. Auch Kräuter (wie Tee) und Gewürze haben eine verdauungsfördernde Wirkung. Beifuß im Gänsebraten oder Majoran im Würstchen schmeckt nicht nur gut, sondern lässt auch das Völlegefühl unwahrscheinlicher werden.
Das schöne Weihnachtsgeschirr wertet das Essen auf.
Kerzenschein, dekorative Zweige, goldumrandete Vasen, Silberbesteck und Kristallgläser sind nicht nur schön anzusehen. „Studien zufolge kann eine positive, einladende Atmosphäre den Genuss steigern“, sagt Ernährungspsychologin Nanette Ströbele-Benschop. Auf weißen Tellern schmeckt das Essen zum Beispiel süßer und intensiver als auf einem schwarzen Teller. Rote Vase ist auch eher ein Appetitzügler. Es wird immer noch darüber spekuliert, warum Farben eine psychologische Wirkung zu haben scheinen. Entwicklungsbiologische Erfahrungen könnten also eine Rolle spielen. Rot ist eher alarmierend, schließlich können rote Beeren sehr giftig sein. Auch das Herauskramen des Silberbestecks lohnt sich: Echtes Silber nimmt schnell die Temperatur der Speisen an, was die Geschmackswahrnehmung steigert.
Die Weihnachtsfamilie wird immer kleiner.
Dazu gibt es keine Zahlen. Aber Soziologe Marcel Schütz sagt: “Sicher ist, dass früher wegen traditionelleren Strukturen und Bräuchen in der Familie die Weihnachtsfeiern größer waren.” Die klassische Familie ist immer noch recht häufig an Weihnachten vertreten, aber nicht alle Tanten. ferner Neffen und Cousins. Feiern auf dem Land, so Schütz, seien etwas konservativer, also mit der Großfamilie und nach bestimmten Ritualen, während urbane Umgebungen mit vielfältigen, multikulturellen Einflüssen mit Traditionen brechen und auch mal Freunde zu Familienfesten mitbringen.