Wo bleiben die Massen? (Tageszeitung junge Welt)

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Teilnehmer der abendlichen Podiumsdiskussion

Die abschließende Podiumsdiskussion steht diesmal unter dem Motto »Kampf in der Krise. Der Krieg und die soziale Frage”. Stefan Huth, Chefredakteur junge Weltsprach mit Melina Deymann, Redakteurin der Wochenzeitung Unsere ZeitThilo Nicklas, stellvertretender Vorsitzender der IG-BAU Köln-Bonn, Christin Bernhold vom Bündnis „Bildung ohne Bundeswehr“ und Sevim Dagdelen, Bundestagsabgeordnete der LINKEN.

Huth beginnt die Runde mit einer Frage zur Rolle der Gewerkschaften vor dem Hintergrund des Krieges. Melina Deymann sagt, dass die Gewerkschaften nicht „das Hauptproblem“ seien, sondern dass es viele Probleme gebe – etwa die Einmischung der Massen in die imperialistische Strategie. Eine Aufgabe besteht darin, die konzeptionelle Trennung von Rüstungsausgaben und Sozialausgaben aufzubrechen. Das muss immer wieder betont werden. Es muss verhindert werden, dass Geld in eines der größten Rüstungsbudgets der Welt investiert wird.

Thilo Nicklas berichtet, wie die IG BAU in Köln bei den Aktionen „Stahl für Brücken statt Kanonen“ forderte. Der Mann steht ganz klar gegen das “Zwei-Prozent-Ziel” für Rüstungsausgaben, gegen die 100 Milliarden “Sondervermögen” und gegen Waffenlieferungen. Aber das sind leider immer nur einzelne Gewerkschaften, nie der DGB als Gesamtorganisation. Verdi beispielsweise zog sich aus Köln zurück, als klar wurde, dass die SDAJ im Bündnis arbeitet. Am Antikriegstag am 1. September demonstrierten mindestens 500 Menschen in Köln. Wohnungen und Preise beeinflussen alles, es ist unverständlich, warum sich zum Beispiel IG Metall und IG BCE aus solchen Aktionen herausgehalten haben.

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Christin Bernhold aus Hamburg beklagt den Mangel an Feldarbeit im antiimperialistischen und antimilitaristischen Bereich. Antiimperialismus und Antimilitarismus seien in linken Strukturen lange „nicht so unglaublich populär“ gewesen. Stattdessen gab es einen starken Fokus auf Antidiskriminierungspolitik, wobei linksliberale Diversity-Politik vorherrschte. Daneben gab es auch „antideutsche“ Einflüsse, etwa im Hamburger „Bündnis gegen Rechts“, von dessen Spitze immer wieder antimilitaristische Kräfte angegriffen wurden. In Hamburg demobilisiert die Linke aktiv die Friedensbewegung mit Hilfe der bürgerlichen Medien. Kommt es zu solchen Attacken, sollte man sich nicht länger fernhalten, sondern angreifen. In letzter Zeit gibt es Anzeichen dafür, dass junge Menschen ein erneutes Interesse an antimilitärischen Themen zeigen.

Sevim Dagdelen distanziert sich ausdrücklich von jedem in seiner Partei, der gegen das Programm verstößt und befürwortet Waffenlieferungen und Sanktionen. Die heutigen Waffenlieferungen entsprechen den „Kriegsanleihen von 1914“. Sie sind die Eintrittskarte in diesen Krieg. Sie stehen vor dem Dritten Weltkrieg. In der Ukraine wird ein Stellvertreterkrieg geführt. Dies wird mit einem internen „sozialen Krieg“ verbunden sein. Sozialabbau und Krieg sind zwei Seiten derselben Medaille. 2022 wurde der bisher größte Reallohnverlust in der Geschichte der Bundesrepublik verzeichnet. Auf der anderen Seite gibt es riesige Gewinne für Unternehmen. Die Regierung betreibe eine “brutale Umverteilungspolitik”. Wenn Gewerkschaftsführer darauf nicht eingehen, sollten sie sich nicht wundern, wenn niemand zu ihren Demonstrationen kommt. Wer den Kern des Problems nicht kommentiert, verliert an Glaubwürdigkeit. Das gilt für Gewerkschaften und die Linke. Viele Menschen sind angesichts des Dauerlärms völlig desorientiert. In Kriegszeiten – das zeigte die Kampagne gegen Sahra Wagenknecht nach ihrer Rede am 8. September – wurden keine Einwände geduldet.

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Melina Deymann will über Ursachen und Geschichte des aktuellen Krieges in der Ukraine diskutieren. Es begann nicht damit, dass Russland am 24. Februar die Grenze überquerte. Sie verweist auf den Nato-Krieg gegen Serbien, die Nato-Osterweiterung und die Vernachlässigung russischer Sicherheitsinteressen. Das breitere Bündnis muss sich auf Mindestforderungen einigen, und dazu gehört auch ein sofortiges Ende dieses Wirtschaftskriegs.

Thilo Nicklas beklagt die Schwäche der Gewerkschaftspositionen. Vielen Mitgliedern fehlt der Mut, auf der Straße für ihre Interessen zu kämpfen. Wo sind die Massen?, fragt er. Er kann nicht verstehen, warum in einer Stadt wie Köln, wo die Hälfte der Menschen einen Aufenthaltstitel beantragen kann, nur wenige zu den Mietdemonstrationen kommen.

Bernhold sagt, in Deutschland müsse die Fundamentalopposition wieder aufgebaut werden. Die Führung des DGB steht im Lager der Bundesregierung und ist damit in den Unternehmen akzeptiert. Sie sind auf politischen Antagonismus angewiesen, nicht nur in den Gewerkschaften. Wenn breite Bündnisse bedeuten, dass alle mitmachen sollen, dann hat man schnell Verbündete wie jene Wahlorganisationen, die in ihren Appellen „Putin“ für alle Übel der Welt verantwortlich machen. Abschließend betont Bernhold, man könne sich zwar auf die Kriegsgeschichte berufen, gleichzeitig müsse aber gesagt werden, dass der Krieg in der Ukraine im Interesse der russischen herrschenden Klasse geführt werde – ohne in eine Position der Äquidistanz zu geraten . Schließlich steht sie für “revolutionäre Realpolitik” in der Friedensfrage.

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Sevim Dagdelen weist darauf hin, dass die Schlüsselthemen die Frage der Waffenversorgung und des Wirtschaftskriegs seien. Als Linker haben Sie eine Mehrheit in der Bevölkerung. Warum können wir uns darauf nicht einigen? Nicht von jedem Demonstranten kann verlangt werden, dass er sich mit den Theorien des Imperialismus auskennt. Über zwei Millionen Menschen werden mit Panels versorgt. Diese Leute wissen, warum das so ist. Eine wichtige Aufgabe besteht darin, die “pseudolinken Argumente” aufzudecken, die zur politischen Mobilisierung gegen Russland verwendet werden. Eine der Folgen der Sanktionen ist die Hungerkrise im globalen Süden. Die nächste Konferenz der Rüstungshersteller in Ramstein wird erwartet, und es wird befürchtet, dass grünes Licht für die Lieferung des “Leopard” gegeben wird. Jetzt ist nicht die Zeit für theoretische Diskussionen.

Das Singen der Internationale bildet den traditionellen Abschluss der Rosa-Luxemburg-Konferenz, die erstmals von über 3.000 Menschen besucht wurde. (z.B)

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